9. November 2001

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Nachruf auf Shardung Rinpoche

"Ein großer Verlust für die Religion, Kultur und das Volk Tibets"

Shardung Rinpoche, ein hoher Lama des Klosters Jakhyung in der Provinz Qinghai und ein weit und breit angesehener Gelehrter der tibetischen Sprache und Kultur, starb am 12. August 2001 im Alter von 81 Jahren. Noch zwei Tage vorher hatte er eine Kalachakra Initiation (eine wichtige religiöse Zeremonie vor allem bei der Gelugpa Schulrichtung des tibetischen Buddhismus) erteilt. Der Dalai Lama zollte drei Tage nach seinem Tod seiner Gelehrsamkeit mit folgenden Worten Tribut: "Allmählich sterben die tibetischen Gelehrten in Tibet aus. Shardung Rinpoches Tod ist ein großer Verlust für Tibets Religion, Kultur und das Volk. Er war ein heiliger Lama, der einen hohen Grad der Vollendung in der Religion und Kultur Tibets erreicht hatte."

Shardung Rinpoche war berühmt für sein Wirken an der "Nationalitäten-Universität" von Qinghai in Xining und an einer tibetisch buddhistischen Akademie in Peking, wo er auf die Bitte deren Gründers, des 1989 verstorbenen 10. Panchen Lamas, lehrte. Ein tibetischer Lama aus der Provinz Qinghai (die einen Teil der traditionell tibetischen Region Amdo umfaßt), der Shardung Rinpoche nahe stand und jetzt im Exil lebt, erzählte TIN: "Er unterrichtete viele der tibetischen und mongolischen Lamas, welche der Panchen Lama im Rahmen seiner Bemühungen zur Wiederbelebung buddhistischer Lehren nach Peking geholt hatte. Seine Schüler kamen aus allen Ecken Chinas und Tibets. Ich habe das Gefühl, als ob mit seinem Tod eine der Säulen des Himmelsgewölbes eingestürzt sei."

Shardung Rinpoche gab seine letzten Belehrungen bei der Kalachakra ("Rad der Zeit") Einweihung in seinem Kloster Jakhyung (auf Chinesisch als Xiaqiong bezeichnet) in Kreis Hualong (tib. Bayan), Präfektur Haidong (tib. Tsoshar). "Shardung Rinpoche rief mich am letzten Tag des Kalachakra aus Tibet an. Er sagte, seine Arbeit sei vollendet und er sei nun bereit, zu gehen. Am nächsten Tag starb er", fuhr besagter Lama fort.

Shardung Lobsang Shadrub Gyatso wurde in dem Dorf Gontser unweit des Klosters Jakhyung geboren. Nach seiner in dem tibetischen Magazin Drangchar (1994) erschienenen Biographie wurde er schon im Mutterleib als die Inkarnation von Shardung Rinpoche erkannt. Mit 7 Jahren kam er ins Kloster, und es heißt, er hätte den Ruf eines außergewöhnlichen Schülers genossen. Das Kloster Jakhyung, das 1349 gegründet wurde, ist eine der ältesten und bedeutendsten religiösen Institutionen in der Region. Der Gründer der Gelugpa Schule Tsongkhapa wurde hier vor über 600 Jahren im Alter von 16 unter der Ägide des Gründerlamas Dondrub Rinchen ordiniert.

Shardung Rinpoche geriet 1998 auf das Erscheinen von chinesischen Arbeitsteams im Kloster hin unter politischen Druck. Sie hatten die "patriotische Erziehung", bei der von den Mönchen die schriftliche Abkehr vom Dalai Lama gefordert wird, durchzuführen. TIN Quellen zufolge konnte Shardung Rinpoche einigen der politischen Meetings nicht beiwohnen, weil er gerade im Krankenhaus lag.

Shardung Rinpoche begann seine Lehrtätigkeit an der Nationalitäten-Universität von Qinghai in Xining im Jahre 1956, wo er hauptsächlich tibetische Sprache unterrichtete. Ende der 50er und in den 60er Jahren wurde Shardung Rinpoche während verschiedener politischer Kampagnen als "Konterrevolutionär" gebrandmarkt. Während der Kulturrevolution wurde er häufigen politischen "Klassenkampfsitzungen" (tib. thamzing) unterzogen, bei denen ihm vorgeworfen wurde, statt des Marxismus-Leninismus den "Buddhismus zu verbreiten". Schüler von Shardung Rinpoche bestätigten, daß er während der Jahre der massiven politischen Kampagnen als ein hoher religiöser Lehrer besonderer Verfolgung ausgesetzt war. Der jetzt im Exil befindliche Lama erzählte TIN, während der Kulturrevolution sei Shardung Rinpoche wiederholt gezwungen worden, Schwerarbeit zu leisten. Bei einer Klassenkampfsitzung büßte Shardung Rinpoche zwei Zähne ein, nachdem ihm ein Schlag versetzt wurde, weil er einer tibetischen Frau ins Gesicht gespieen hatte, die von ihm verlangte, er sollte akzeptieren, daß es keine Götter gebe.

Shardung Rinpoche wurde 1979, drei Jahre nach Ende der Kulturrevolution "rehabilitiert". Er kehrte als Professor an die Abt. für ethnische Sprachen der Qinghai Nationalitäten-Universität zurück. 1985 trat er in den Ruhestand, aber nahm 1987 seine Lehrtätigkeit an dem Institut für tibetischen Buddhismus in Peking auf Ersuchen dessen Urhebers, des 10. Panchen Lamas, wieder auf. Dieser hatte das Institut gegründet, um Lehrern der Religion und sonstigen Tibetern, die ihre Studien während der Kulturrevolution hatten abbrechen müssen, eine Möglichkeit zur Bildung zu geben. Sowohl Shardung Rinpoche als auch der Panchen Lama trugen große Sorge um das Niveau der buddhistischen Belehrung unter den Tibetern und deren Verständnis für Religion, und beide waren der Ansicht, daß der Wiederbelebung der buddhistischen Religion nach der Kulturrevolution am besten gedient werde, wenn zusätzlich zu dem Erstarken der Klöster besonders auf die Bildung gewöhnlicher Tibeter Wert gelegt wird. Einige von Shardung Rinpoches Schülern spezialisierten sich auf tibetische Erziehung oder wurden Lehrer, während andere einflußreiche offizielle Positionen gewannen. Seine Arbeit beeinflußte auch chinesische buddhistische Gelehrte, sowie viele tibetische und mongolische Lamas und Tulkus (reinkarnierte Lamas), welche dann das bei ihm erworbene Wissen mit in ihre Heimat nahmen und dort weitergaben. Dem Lama aus Qinghai zufolge, der früher zu seinen Schülern zählte, trat der Rinpoche nach der Kulturrevolution auch als Repräsentant des 10. Panchen Lama auf und bereiste tibetische Regionen, um sich ein Bild zu machen, inwieweit sich die buddhistischen Lehren wieder mit Leben erfüllt hatten.

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